In Diktaturen ist nicht alles tapfer

Er aber war es: Zum Tod des oppositionellen syrischen Schriftstellers Khaled Khalifa.

s gibt nur wenige Menschen in Syrien, an die sich das Regime nicht herantraut. Khaled Khalifa war einer von ihnen. In fast jedem seiner Bücher ist er mit dem Regime des Gewaltherrschers Baschar al Assad derart hart ins Gericht gegangen, dass seine Freunde und Weggefährten fassungslos darüber waren, dass er das Land noch immer nicht verlassen hatte. Beispielsweise als er 2006 das Buch „Lob des Hasses“ veröffentlichte, das von der Verfolgung der syrischen Muslimbrüder in den Achtzigerjahren erzählt.

Khaled Khalifa during an interview with AFP at his home in Damascus on June 2, 2020 (Photo by LOUAI BESHARA/AFP)

Khalifa hatte damals eigens einen kleinen Selbstverlag gegründet, um sechshundert Exemplare drucken zu lassen. Das Buch wurde, wie fast alle anderen seiner Bücher, in Syrien verboten. Er selbst durfte das Land eine Zeit lang nicht verlassen und wurde massiv bedroht. „Nach der Veröffentlichung war ich eine Woche lang betrunken“, sagte er bei einem Treffen in Beirut vor einigen Jahren – offensichtlich nur halb im Scherz. Aber er hat es überlebt.

Allerdings wusste er auch, dass diese Art des Widerstands nicht jedermanns Sache ist. In seinen Romanen tritt die Angst immer wieder als bestimmendes Element des Lebens in der syrischen Diktatur hervor. Seine Figuren sind keine Helden. Sie sind opportunistisch, verloren, verzweifelt, einsam, sie finden ihre Nischen und flüchten in Tagträume von einer besseren Vergangenheit. Trotzdem bricht der Autor Khalifa nie den Stab über sie. In Diktaturen sei nicht alles tapfer, pflegte er zu sagen und führte in den verzweigten Familiengeschichten seiner Romane eindrucksvoll vor, wie weit das Feld zwischen Unterwerfung und Widerstand sein kann.

Er reiste in die ganze Welt, kehrte aber immer nach Syrien zurück

Khaled Khalifa hätte dieses Feld räumen können. Nachdem sein Buch „Keine Messer in den Küchen dieser Stadt“ in englischer Übersetzung just in dem Moment erschienen war, in dem Aleppo nach jahrelangem Kampf 2016 wieder in die Hände des Regimes fiel, war ihm die internationale Aufmerksamkeit sicher. Seine Romane wurden danach in alle möglichen Sprachen übersetzt, auch auf Deutsch sind drei von ihnen erschienen. Einladungen zu Literaturfestivals in aller Welt nahm er immer wieder an. Sein Pass war voller Visa von Ländern, nach denen sich zahlreiche seiner Landsleute in Syrien sehnen.

Trotzdem kehrte er immer wieder in seine Heimat zurück und lebte, umringt von einer wachsenden Gruppe junger Literaten, denen er ein Vorbild war, unter dem fragilen Schutzschirm, den das weltweite Renommee über ihn spannte. „Draußen werden wir zu Holländern, Franzosen, Deutschen, aber das möchte ich nicht. Ich bin Syrer“, sagte er einmal, „hier hat alles eine Bedeutung für mich.“

Seine Romane in den Schaufenstern von Buchhandlungen in New York zu sehen, war ihm eine Freude. Noch größer wäre die Freude gewesen, hätte er die Bücher auch in syrischen Buchläden entdeckt. Das war ihm nicht mehr vergönnt. Khaled Khalifa ist im Alter von 59 Jahren in der Nacht zum 1. Oktober in Damaskus gestorben.

Published on FAZ here

Source
FAZ
Back to top button